Mehr Saft im Tank
Auf zu neuen Ufern?
Zuckerfrei, Low Carb, Fructose-Intoleranz, Glutenfrei, Selbstoptimierung – Schlagworte jüngster Ernährungstrends
bei den Millennials und der Gen Z, die nicht für ein Comeback des Saftes sprechen! Gleichzeitig gewinnt
Regionalität, Selbstgemachtes, „crafted“, vitaminhaltig, Bio und vegetarisch-vegan weiter an Zugkraft –
Themen also, die auch für Säfte relevant sind. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie und der Lockdowns
mit einer Maximierung von Home Consumption, Home Delivery, Home Irgendwas (…) hatten scheinbar auch
den safthaltigen Getränken ein kurzes Zwischenhoch beschert – auf Dauer oder vorübergehend?
Mit der Erfindung der Pasteurisation
durch Luis Pasteur um 1860 war
es möglich, Fruchtsaft herzustellen,
der nicht sofort nach dem Pressen
getrunken werden muss. Seit dieser Zeit
hat Saft seinen festen Platz in Deutschland
und sich als Kulturgut verankert. Der
Saft war wie die Milch täglich Brot der
Deutschen. Die beiden Weltkriege mit
ihren Versorgungsengpässen unterbrachen
kurzfristig diesen Trend.
Die goldene Ära der Säfte
Nach dem Zweiten Weltkrieg erreichten
die deutschen Bundesbürger 1954 den
Ernährungsstand der Vorkriegszeit. Südfrüchte
und Frischobst spielten dabei eine
bedeutende Rolle. Der Verbrauch bezogen
auf den Durchschnittswert war gegenüber
1935 bis 1938 um 55 Prozent gestiegen.
Nach dem „Rausch der Befreiung“ setzten
die Deutschen zudem auf „sanftere“
Genüsse: Statt Bier und Schnaps wurden
vermehrt Wein und Fruchtsaft konsumiert.
In den Jahren um 1970 gab es
eine letzte Blüte einer hemmungslosen
Ess- und Trinkkultur der durch Nachholbedarf
gekennzeichneten Kriegsgeneration,
bevor sich in den 1980er Jahren
neben dem ökologischen Bewusstsein ein
stärkeres Gesundheitsbewusstsein entwickelte.
Beispiel hierfür war die erste Fitnesswelle,
die mit Aerobic aus den USA
auch nach Deutschland überschwappte.
Saft hatte nach Kriegsende das Naschen
wieder gesund gemacht – so auch die
Werbeversprechen von nimm2-Bonbons,
die 1962 auf den Saft-Zug aufgesprungen
waren und „Fruchtsaft, Vitamine und Naschen“
in einem propagierten. Dass solche
Aussagen wie die von Hohes C (Abb.
2) heutzutage nicht mehr denkbar sind, ist
der Health-Claims-Verordnung (HCVO) zu
verdanken. Andererseits, wer denkt nicht
mit einem lachenden Auge an den Werbe-
slogan „Milch macht müde Männer munter“
zurück, mit dem die westdeutsche
Milchwirtschaft in den 1950er Jahren die
Werbetrommel für Milch gerührt hat. Später
hieß es dann im Auftrag der 2009 aufgelösten
Centrale Marketing-Gesellschaft
der deutschen Agrarwirtschaft (CMA) verkürzt:
„Die Milch macht’s“.
In jener Zeit stieg der Saftkonsum
sprunghaft an. Die Hochphase des Safts
lag in den 1990er / 2000er Jahren, in
denen Saft als einfache Möglichkeit galt,
convenient Vitamine zu sich zu nehmen.
Dazu haben sicherlich auch Werbeversprechen
wie die der Marke Hohes C
(Geburtsjahr 1958) beigetragen, die sich
mit Aussagen wie „So viel Vitamin C wie
vier Pfund Orangen“ und „Wenn Ihnen
die Gesundheit Ihrer Familie am Herzen
liegt“ das tägliche Glas Saft als „Vitamin
C-Lieferant für die ganze Familie“ und
„So wichtig wie das tägliche Brot“ in den
Köpfen der Verbraucher verankert haben.
Wenn wir heute nach „Saft gesund“
googeln, erscheinen als erste Treffer
„Saft aus Früchten wie Orange, Granat-
apfel und Apfelbeere (Aronia) gelten als
gesund. Doch neben Antioxidantien und
Vitaminen kann Fruchtsaft so viel Zucker
wie Cola enthalten“ (Abfrage über Google
28. Mai 2021). Auch wenn Saft nicht
gleich Saft ist, sind Verbraucher heillos
überfordert, wenn es um verschiedene
Qualitätsstufen von Saft und deren Verortung
geht. Saft hat als „Vitaminboost“
deutlich an Glaubwürdigkeit und Relevanz
eingebüßt, was in den Folgejahren
zu erheblichen Rückgängen im Pro-Kopf-
Konsum beitrug (Abb. 1).
Trotz sinkenden Konsums seit Mitte der
Millennial-Jahre sind die Deutschen aber
immer noch „Saftweltmeister“ im Pro-
Kopf-Konsum mit etwa 30 Litern, gefolgt
von Norwegen auf Platz 2 mit 23,5 Litern
und den USA mit 20,7 Liter.
Abb. 1: Entwicklung des Pro-Kopf-Verbrauchs an Fruchtsäften / Fruchtnektaren in
Deutschland in den Jahren 1950 bis 2020
1,9
6,1
9,9
19,4
39,6 40,6
42,0
36,3
33,9
32,0 32,2 31,5 30,5 30,0
50
40
30
20
10
0
1950 1960 1970 1980 1990 2000 2003 2010 2012 2014 2017 2018 2019 2020
Bis 1990 Bundesrepublik Deutschland, seit 1991 Deutschland gesamt.
Quelle: Verband der deutschen Fruchtsaft-Industrie e.V. (VdF), Bonn
Angaben in Liter
Abb. 1: Entwicklung des Pro-Kopf-Verbrauchs an Fruchtsäften / Fruchtnektaren in Deutschland in den Jahren 1950 bis 2020
Bis 1990 Bundesrepublik Deutschland,
seit 1991 Deutschland gesamt.
Quelle: Verband der deutschen
Fruchtsaft-Industrie e.V. (VdF), Bonn
10 · GETRÄNKEFACHGROSSHANDEL 8/2021
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