Blickwinkel
Denk-Anstöße
Dietrich W. Thielenhaus
Der Autor dieser Kolumne ist als
Inhaber der Marketing-Agentur
Thielenhaus & Partner GmbH
(Wuppertal) beruflich nicht nur mit
dem SHK-Bereich, sondern auch
mit zahlreichen anderen Branchen
vertraut. Für die Leser der RAS formuliert
er aus seinen Erfahrungen,
Einblicken und Erkenntnissen allmonatlich
„Denk-Anstöße“, die
über den Tag hinaus von Bedeutung
sein könnten.
Interessantes, Merkwürdiges und Nachdenkliches,
gesammelt von Dietrich W. Thielenhaus
Die Systemfrage
Das System der sozialen Marktwirtschaft
wird hierzulande als
selbstverständlich goutiert, häufig
kritisiert und zunehmend infrage
gestellt. Selbst in den „bürgerlichen“
Parteien wird das historisch
einzigartige Erbe Ludwig Erhards
allenfalls bei Sonntagsreden
thematisiert. Die sechzehnjährige
Regierungszeit von Angela Merkel
steht vor allem für vielfältige
soziale Wohltaten, sicherlich aber
nicht für die strukturelle Stärkung
der Wirtschaft und ihrer internationalen
Wettbewerbsfähigkeit.
Letztlich hat Merkel volkswirtschaftlich
von der Reform-Agenda
2010 ihres Amtsvorgängers profitiert.
Den Publizisten Gabor Steingart
beschleicht mittlerweile das
Gefühl, Deutschland wolle nicht
nur aus der Kohle, sondern auch
aus der Marktwirtschaft aussteigen.
Er kommentiert: „Vater Staat
dringt mit forschem Schritt in immer
neue Lebensbereiche vor. Der
freie Markt, jener magische Ort, an
dem Angebot und Nachfrage zum
beiderseitigen Nutzen zueinander
finden sollen, wird nicht länger als
magisch empfunden, sondern als
teuflisch. Die Freunde der Marktwirtschaft
sind nicht nur in die Defensive,
sie sind in einen moralischen
Hinterhalt geraten. Selbst in
den feinen Salons des städtischen
Bürgertums fällt es vielen leichter,
Che Guevara oder Karl Marx zu zitieren
als Ludwig Erhard.“
Vertrauenskrise
Die Bürger verfolgen den Niedergang
der Volksparteien mit gemischten
Gefühlen. Einerseits erscheinen
handfeste Quittungen
für die fortgesetzte Missachtung
der Wähler-Prioritäten geboten
und überfällig. Andererseits ist
die Sorge nicht unberechtigt, dass
mit der Zersplitterung der Parteienlandschaft
auch die politische
Stabilität der Nachkriegszeit dauerhaften
Schaden nimmt. Das kann
dazu führen, dass die Mehrheitsfähigkeit
in Gestalt funktionierender
Koalitionen abhandenkommt.
Am Horizont droht die Gefahr der
strukturellen Unregierbarkeit.
Gerade dieses Risiko wollten die
Väter des Grundgesetzes durch
das von den Negativerfahrungen
der Weimarer Republik geprägte
Wahlrecht mit der 5 %-Klausel minimieren.
Sollte es perspektivisch
sieben oder mehr Parteien im Korridor
zwischen 5 und 20 % geben,
dürfte der Ruf nach der Einführung
des Mehrheitswahlrechts laut werden.
In 50 Jahren werden Historiker
fragen, wie es dazu kommen
konnte, dass sich die „Volksparteien“
in der dritten Dekade dieses
Jahrhunderts als von allen guten
Geistern verlassen erwiesen haben.
Und wahrscheinlich werden
sie zu dem Schluss kommen, dass
die tiefgreifende Vertrauenskrise
sehr viel zu tun hatte mit dem zunehmenden
Gefühl in der Bevölkerung,
dass der Staat nicht mehr
geliefert hat. Irrlichternde Regierungen,
die sich den Realitäten
verweigern und ihre politische
Bringschuld sträflich vernachlässigen,
vergeben ihre Legitimation
und gefährden den Fortbestand
der freiheitlich demokratischen
Grundordnung.
Das private Eigentum
Der Verband Die Familienunternehmer
hat vom HWWI den Stellenwert
des Privateigentums in den
Parteiprogrammen zur Steuer- und
Finanz-, Wohnungs-, Klima- und
Unternehmenspolitik untersuchen
lassen. Generell sei gerade in Krisenzeiten
von allen Parteien ein
klares Bekenntnis zur Sicherung
und Stärkung des Eigentums zu
erwarten. Wer das betriebliche Eigentum
der Unternehmen angreife,
untergrabe die Wettbewerbsfähigkeit
unserer Wirtschaft und den
sozialen Zusammenhalt unserer
Gesellschaft. Als heftigen Angriff
auf das private Eigentum bewertet
der Verband die Vermögens- und
Erbschaftssteuerpläne von SPD,
Grünen und Linken. Damit werde
den Unternehmen die Grundlage
entzogen, auch die nächste Krise
zu überstehen. Einer ifo-Studie zufolge
werden Steuererhöhungen
meist unmittelbar nach Wahlen
realisiert.
„Neue Realitäten“
Die EZB ist offenbar finster entschlossen,
ihre Politik des billigen
Geldes ohne Rücksicht auf die gefährlichen
Auswirkungen fortzusetzen.
Sie ist damit längst zum
Sachwalter der Interessen der
südeuropäischen Schuldenländer
geworden, die nur so – ohne
unerwünschte, weil unpopuläre
Einsparungen – ihre Schuldenhaushalte
refinanzieren können.
Billigend in Kauf genommen wird
dabei eine rapide Zunahme der
Geldentwertung. So ist die deutsche
Inflationsrate im August mit
3,9 % auf den höchsten Stand
seit fast 30 Jahren gestiegen. Der
Bundesbankpräsident erwartet
bis zum Jahresende einen weiteren
Anstieg auf 5 %. Damit würde
das deutsche Geldvermögen von
gegenwärtig rund 6,7 Billionen
Euro in nur einem Jahr 321 Mrd.
Euro an Kaufkraft verlieren. Anders
formuliert: Der Inhaber eines
Barvermögens von 100.000 Euro
würde bis 2030 um 35.500 Euro,
also über ein Drittel, enteignet
werden. Mehr als erstaunlich ist,
dass das für deutsche Wahrnehmungen
höchst sensible Thema
Inflation im Wahlkampf überhaupt
keine Rolle gespielt hat. Parteien
und Medien haben sich diesbezüglich
– aus welchen Gründen
auch immer – auffällig zurückgehalten.
Das gilt im Übrigen auch
für die Regierungen von Italien
und Frankreich, die im Sommer
alles getan haben, um nicht die
deutschen Wähler mit neuen Initiativen
pro Schuldenunion zu irritieren.
Schon ab Oktober dürfte
eine Offensive gegen die Maastricht
Kriterien starten. Vor allem
die italienische Regierung von Mario
Draghi will den Stabilitätspakt
untergraben und die Kriterien dauerhaft
aussetzen. Man müsse sich
– so heißt es – „den neuen Realitäten“
anpassen. Kein Geheimnis
ist, dass – neben Italien und
Frankreich – auch Griechenland,
Portugal und Spanien hochgradig
daran interessiert sind, zulasten
der nördlichen EU-Länder die
„Freiheit“ zur unlimitierten Neuverschuldung
zurückzuerobern.
62 RAS | OKTOBER 2021 www.ras-online.com
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