BIERACULIX
Die Kolumne von
Das „Hop Creep“-Phänomen
Faszinierende Einblicke in das Innenleben des
Hopfens beim Hopfenstopfen
Vielleicht kennen Sie das Mysterium? Sie geben Hopfen zur Gärung dazu und
wundern sich über außergewöhnlich hohe Vergärungsgrade? Oder sie stopfen den
Hopfen in den Lagertank und wundern sich später im abgefüllten Gebinde über
unerklärlich hohe Kohlensäuredrücke? Und eventuell ärgern Sie sich bei Ihrem hopfengestopften
IPA auch über störende Diacetylnoten?
All das und noch viel mehr hat mit dem „Hop
Creep“-Phänomen zu tun. „Hop creep“, was
könnte das sein? Creep heißt auf Deutsch soviel
wie widerlich oder gruselig, was absolut nicht zu
Hopfen passt. Das Phänomen ist schon lange bekannt.
Für unsere Biersommelier-Bildungsangebote
recherchieren wir auch immer in sehr alter Literatur.
Bis ins 18. Jhdt. zurück konnten wir schon
Bierstile und deren Rezepturen verfolgen. Ein Literaturhinweis
aus dem späten 19. Jhdt. beschreibt
den „Hop Creep“ schon sehr genau. Damals war
Hopfenstopfen noch mehr verbreitet und wenn
an das englische Real Ales gedacht wird, ist eine
leichte Nachgärung im „Firkin“-Fass sogar hilfreich
für den Frischeeindruck bzw. der Oxidationsvermeidung.
Creepy effects
Der offensichtliche Grund dafür, dass Bier mit Hopfen
weitergärt, liegt darin, dass Hopfen Zucker mit
einbringt, was unter anderem von Stan Hieronymus
in „For the Love of Hops“ bestätigt wird. Da-
rüber hinaus, und dieser Effekt ist viel entscheidender,
bringt Hopfen im Kaltbereich zugegeben auch
wieder aktive Enzyme ins Bier ein. Diese können
unvergärbare Dextrine aufspalten und somit wiederum
Zucker bilden. Bei Anwesenheit von Hefe
kommt es zu Nachgärungen. Durch diese zweite
Gärung bildet die Hefe erneut Diacetyl. Sie ist aber
nicht mehr stark genug, um dieses wieder abzubauen.
Besonders creepy ist, dass sich während
der Kaltlagerung um den Gefrierpunkt sowohl die
hopfeneigenen Enzyme als auch die Hefe in einer
quasi Schockstarre befinden. Erst in dem Moment,
wo das Bier abgefüllt in einem warmen Supermarkt
steht, nehmen die Nachgärungen ihren unrühmlichen
Verlauf. Das kann sogar bis zum Bersten
der Flasche führen, was in der Tat widerlich ist.
Der Trend zu „Flavour“- oder „Impact“-Hopfen ist
dafür verantwortlich, dass die Hopfendarrtemperaturen
in den letzten Jahren gesunken sind.
Somit wurde das Aroma geschont, aber auch die
Enzymkraft des Hopfens besser erhalten. Dadurch
wird dieser negative und unberechenbare Effekt
des „Hop Creep“ noch verstärkt. Mein Kollege
Jens Luckart durfte dieses Thema letztes Jahr
intensiv mit Braumeister Vinnie Cilurzo von der
amerikanischen Russian River Brewing Company
diskutieren, der zwei Versionen seines berühmten
IPAs „Pliny The Elder“ braute. Eine Version
mit Hopfen, der bei 54 °C gedarrt wurde und eine
Version bei 63 °C. Im ersten Fall war der Diacetylgehalt
höher und es dauerte länger, diesen abzubauen.
Was oben Genanntes bestätigt.
Ich selber habe übrigens beim „Stopfen“ mit frischer
Minze für mein Kreativbier „TAU“ – ein Session
IPA – ähnliche Phänomene beobachtet. Der
Creep-Effekt kann daher auch dann auftreten,
wenn beliebige andere nicht erhitzte Naturstoffe
im Lagerkellerbereich zugesetzt werden.
Lösungen zur Vermeidung dieser mysteriösen
Effekte gibt es – aber leider ist jetzt die Kolumne
schon zu Ende –, Fortsetzung folgt.
Axel Kiesbye
Der gelernte Dipl.-Ing. für Brau-
wesen leitet die Kiesbye Akade-
mie in der Nähe von Salzburg.
Er hat die Ausbildung zum Diplom-
Biersommelier initiiert. Seine Firma
bietet High-End-Seminare und Beratungen
zu bierkulturellen und
brautechnologischen Frage-
stellungen an.
Kontakt: info@bierkulturhaus.com
BRAUINDUSTRIE 6/2021 · 29
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