10 · GETRÄNKEFACHGROSSHANDEL 1/2022
INTERVIEW
„Relevante Reize sind
entscheidend“
Wie Context-Marketing das Verbraucherverhalten beeinflusst
Ganz aktuell erschien das Buch „Context Marketing – Der Schlüssel zum Verbraucherverhalten“ von Ralph
Ohnemus, Dr. Uwe H. Lebok und Florian Klaus. Es zeigt neue Wege für eine erfolgreiche Markenführung trotz
Informationsflut und digitaler Schnelllebigkeit auf. Über die Inhalte und darüber, welche Rolle speziell das
Thema Context-Marketing im Getränkebereich spielt, sprach der GETRÄNKEFACHGROSSHANDEL mit dem
Autoren und Markenspezialisten Dr. Uwe H. Lebok, CMO K&A BrandResearch. (eis)
GETRÄNKEFACHGROSSHANDEL: Herr
Dr. Lebok, aktuell brachten Sie zusammen
mit Ralph Ohnemus und Florian Klaus Ihr
neues Buch „Context-Marketing“ im Springer
Gabler Verlag heraus. Wie definieren
Sie konkret „Context-Marketing“?
Dr. Lebok: Es handelt sich dabei laut Definition
um eine verhaltenswissenschaftlich
fundierte Herangehensweise der Markensteuerung
mit dem Fokus auf das Alltagserleben
der Zielkunden und ihrer relevanten
Kontexte, in denen Markenangebote,
aber auch verschiedene Dienstleistungen
effektive Lösungen bieten können.
GFGH: Das klingt sehr wissenschaftlich...
Dr. Lebok: Einfacher erklärt: Die Verhaltenswissenschaft
ist der aktuelle State of
the Art der wissenschaftlichen Psychologie
bzw. in psychotherapeutischen Herangehensweisen.
Das bedeutet, wir begeben
uns in bestimmte Alltagssituationen, um zu
erkunden, was in diesen (z. B. Belohnung
mit einem Getränk nach dem Fitness-Training)
jeweils passiert. Aus diesem Geschehen
und dem Lernen daraus ist dann in der
Folge die Zukunft neu zu gestalten.
Tiefenpsychologie als Psychologie „von
gestern“ ist hier nicht mehr gefragt, da sie
sich ausschließlich auf die Vergangenheit
konzentriert. Heute zielen wir mit psychologischen
Ansätzen verstärkt in die Gegenwart,
in der die Vergangenheit nur einen anteilig
kleinen Einfluss auf unser kontextuelles
Entscheidungsverhalten hat. Mit den Erkenntnissen
gegenwärtiger Entscheidungsfaktoren
kann dann die Zukunft situativer
Verhaltensmuster neu gestaltet werden.
GFGH: Welche Zielgruppen sprechen Sie
mit dem Buch konkret an?
Dr. Lebok: Unsere Zielgruppe(n) spiegeln
sich in erster Linie in Marketing- und Vertriebsverantwortlichen
sowie Konsumforschern
wider. Das Buch ist aber auch für
Werbetreibende, Beschäftigte und Interessierte
aus dem Sozialmarketing und
Verhaltensforscher gedacht.
GFGH: Der Konsument wird heutzutage
mit Reizen quasi überflutet. Worauf
kommt es also an?
Dr. Lebok: Das ist richtig. Es fällt den
Menschen immer schwerer, Informationsinhalte
mit allen relevanten Hintergründen
in der notwendigen Tiefe zu
erfassen und entsprechend im Gehirn
abzuspeichern. Das gilt für Marken und
deren Kommunikationsinhalte ebenso
wie für die meisten Inhalte aus der Politik.
Reagiert wird nur noch auf einzelne
Kommunikationsfetzen, die Inhalte werden
in den meisten Fällen nicht mehr
in der Totalen betrachtet. Das heißt, es
wird immer wichtiger, noch stärker aus
den Menschen, also den Empfängern
von Botschaften und deren Alltagskonstellationen
heraus zu agieren – und hier
vor allem auch nur ganz bestimmte Situationen
im Blick zu haben.
GFGH: Beispielsweise?
Dr. Lebok: ... Nehmen wir „Bierimpulse“:
Diese haben am frühen Morgen eine
schwächere Wirkung als am späten Nachmittag
oder am Feierabend oder in einer
unkonventionellen Runde mit Freunden
und Bekannten. Kontexte sind also tageszeitabhängig,
saisonal bedingt, werden
vom sozialen Umfeld getriggert, können
aber auch jederzeit neu besetzt werden.
GFGH: Für das Beispiel Bier...
Dr. Lebok: ... könnte das – etwas verrückt
gedacht – zum Beispiel ein „Frühstücksbier“
sein. Das Produkt gilt es dann entsprechend
positiv zu besetzen, nach dem Motto:
„Wenn es schon ein Bier am Morgen sein
muss, dann nur ein Frühstücksbier o. ä...“
GFGH: Sie hatten eben die Überflutung
der Menschen mit Informationen und Reizen
erläutert. Sie bezeichnen diese auch
als eine „Zuvielfalt“.
Dr. Lebok: Die Zuvielfalt war auch früher
schon vorhanden. Waren es vor 40 Jahren
zwar „nur“ 800 Botschaften pro Tag,
strömen heute potenziell rund 13.000 auf
uns Menschen ein. In diesem Zeitraum hat
sich aber das menschliche Gehirn in seiner
Aufnahmefähigkeit nicht in gleichem Maße
weiterentwickelt. Denn bereits 800 Botschaften
sind schon „zu viel“ und können
nicht in ihrer Gänze erfasst, geschweige
denn abgespeichert werden. Der „Overload“
hat also extrem zugenommen.
Dr. Uwe Lebok,
CMO K&A
BrandResearch