GETRÄNKEFACHGROSSHANDEL 1/2022 · 11
GFGH: Worauf sollte man sich also mit der
Markenbotschaft konzentrieren?
Dr. Lebok: WWK – auf Weniges, das wirklich
Wichtige und die zentralen Kontexte.
Wichtig ist es zu wissen, wann das Wahrnehmungsfenster
der Zielkunden am weitesten
geöffnet ist, um auf bestimmte Botschaften
mit entsprechendem Verhalten
reagieren zu wollen, weil sie in der jeweiligen
Situation interessant bzw. relevant
sind und sie – Kontext bezogen – eine emotionale
Effizienz bieten. Das bedeutet, gefragt
sind Stimuli, die eine Alltagssituation
entweder erleichtern oder gar verbessern.
Es geht folglich um eine Art Wohlfühleffizienz
in Alltagssituationen, das Schaffen
einer proaktiven Erwartungshaltung für ein
Produkt/eine Marke in Kontexten oder das
Erzeugen eines kontextspezifischen Genussmoments
(z. B. Sonntagsbier). Diese
Punkte sollten unbedingt berücksichtigt
werden, um in der allgegenwärtigen Zuvielfalt
Gehör bei den Verbrauchern zu finden.
Wenn lediglich nur Content geschaffen
wird, ohne die Alltagsrelevanz zu berücksichtigen,
wird über verstärkten digitalen
Content lediglich der bereits bestehende
„Informations-Overload“ weiter überhitzt.
GFGH: Bedeutet das auch, dass sich die
Erfolgsfaktoren für eine Marke durch diese
Zuvielfalt eigentlich verschlechtert haben?
Dr. Lebok: Die Menschen wissen letztlich
immer weniger über Marken im Allgemeinen,
konkret und in der Tiefe. Marken spielen
formal eine immer geringere Rolle für
die Kaufentscheidung. Das bedeutet aber
nicht, dass Marketing diese Situation für
die eigene Marke nicht verbessern kann.
Oder man ergibt sich diesen Herausforderungen
und schwimmt weiter im Fluss
der Bedeutungslosigkeit. Besser: Einer
Marke gelingt es tatsächlich zu „markieren“,
um dann in ihrem Markt- oder Kontextumfeld
erfolgreich zu sein.
GFGH: Erläutern Sie das bitte.
Dr. Lebok: Hier helfen sogenannte Bierdeckel
oder zugespitzte War Cry-Positionierungen.
Wichtig sind gelernte Bildelemente,
aber auch andere Codes, die mit
meiner Marke verknüpft werden und Storytelling
aufbauen. Das gelingt leider vielen
Marken nicht, weshalb sie auch als eher
austauschbar wahrgenommen werden.
Darüber hinaus gilt es auf die Frage eine
Antwort zu finden, ob eine Marke verbraucherseitig
tatsächlich als „markierende“
Marke empfunden wird oder zu einer solchen
werden kann.
GFGH: Sie erwähnten gerade das Wort
„Storytelling“, ein derzeit häufig gebrauchter
„In-Begriff“. Welche Rolle spielt er wirklich?
Dr. Lebok: Vor jedem Storytelling gilt: Jede
Marke muss für sich bereits den eigenen
Fokus gefunden haben – ganz in der Denkweise
des amerikanischen Marketingprofis
Al Ries. Er hat in den 80er Jahren das Buch
„Positioning“ herausgebracht und vertritt
darin die Ansicht, dass eine Markenpositionierung
auf eine Briefmarke passen
muss. Solange unspezifische Botschaften
verbreitet werden, die den Marken-Fokus
verwässern, kann eine Marke keinen Erfolg
haben. Verwissenschaftliche Positionierungsansätze
wie Markenpyramiden
o. ä. sind überholt. Was eine Marke
braucht, ist eine extreme Zuspitzung in
der Positionierung.
Das bedeutet auch, Opferbereitschaft zu
wagen und sich mit Mut von manch tradierten
Inhalten oder Werten ggf. auch zu
verabschieden, wenn sie bei den Verbraucherinnen
und Verbrauchern keine Relevanz
haben. Wenn die Zuspitzung in der
Positionierung fehlt, wenn keine starken
und „merkwürdigen“ Brand-Assets erzeugt
werden, dann fällt meine Marke nicht auf.
Besitzt beispielsweise meine Marke einzigartige
Bild-Symbole, sollten diese im Sinne
eines nachhaltigen Storytellings kommunikativ
viel stärker eingesetzt werden.
Mit unserer Marke müssen
wir ein Stück weit mehr mit
dem Alltag unserer Verbraucher
verschmelzen.“
Marken-Symbole sollten strategisch so
verwendet werden, dass sie die positive
Strahlkraft erhöhen. Stattdessen wird der
Fokus einer Marke allzu oft verschoben und
es werden Dinge über Marken erzählt, die
eigentlich vom Kern ablenken. Ziel wäre
es vielmehr, bestehende Marken-Symbole
und den Fokus der Positionierung stringent
in eine kohärente Story zu packen.
Das ist eigentlich alles. Die Menschen müssen
die Botschaft schnell verstehen, sonst
befinden wir uns wieder im „Information
Overload“ und die Verbraucher schalten
ab. Dabei auch noch konsequent in den
relevanten Kontexten präsent zu sein, ist
womöglich die entscheidende Kür.
GFGH: Kommen wir zurück auf Ihr über
300 Seiten starkes neues Buch. Inhaltlichj...
Dr. Lebok: ... werden sowohl jüngste Forschungsergebnisse
der Behavioral Economics
berücksichtigt als auch viele Markenbeispiele
behandelt. Es werden Themen
wie Zukunftsforschung, digitales Marketing
und Kommunikationsdesign thematisiert,
doch die Frage, wie Context-Thinking
als neues Denken in die Marketing-Praxis
übertragen werden kann, steht im Mittelpunkt.
Das Buch ist dabei in drei zentrale
Blöcke unterteilt: 1. Markenflaute, 2. Markenerwachen,
3. Markenhorizonte.
GFGH: Worum geht es jeweils?
Dr. Lebok: Im ersten Kapitel geht es
darum, dass Insights alleine heute keine
Garantie mehr für einen Markenerfolg
bieten. Hier werden auch Chancen und
Grenzen einer Markenpositionierung aufgezeigt.
Das zweite Kapitel veranschaulicht, wie
Kontexte unser Verhalten dominieren. Das
Hauptaugenmerk liegt auf der Verhaltensforschung
in Abgrenzung zur Freud´schen
Psychoanalyse. Darüber hinaus steht das
Thema Context-Thinking als pragmatische
Herangehensweise zum Verbraucherverständnis
im Mittelpunkt. Ein Gastbeitrag
von Prof. Arnold Weissman betrachtet die
Bewältigung von Krisenkontexten in mittelständischen
Unternehmen. Zum Thema
Digital-Marketing findet der Leser einen
Gastbeitrag von Prof. Dr. Meike Terstiege
aus Köln, die Ideen einer Verknüpfung von
Context mit (digitalem) Content skizziert.
Das dritte Kapitel konzentriert sich darauf,
wie sich Marken in Zukunft stärken
lassen, um auch in den nachwachsenden,
neuen Verbrauchergenerationen eine bedeutende
Rolle zu spielen oder Staunen
auszulösen. Auch im Bereich Health Care
spielen Kontexte bereits heute eine ganz
entscheidende Rolle bei der Verordnung
von Therapien – mit zunehmender Bedeutung.
Das Thema Influencer-Marketing
wird als Gastbeitrag von Autorinnen der
Schmittgall-Gruppe aufgegriffen. Warum
eine Kontext-Kommunikation schneller
wirkt, erklärt der ehemalige Geschäftsführer
von BBDO und heutige Director bei der
Deloitte Consulting, Dr. Gordon Euchler.
GFGH: Das Thema wird also sehr vielschichtig
auch von außen beleuchtet?
Dr. Lebok: Ja, denn es geht uns dabei
nicht um die Vermittlung unserer Marketing
Überzeugung, sondern auch um externe
Perspektiven, die durchaus nicht
immer konform zur Meinung der Herausgeber
sein müssen. Grundsätzlich war uns
in dem Buch bei Springer Gabler eine wissenschaftlich
fundierte Gesamtdarstellung
des Themas wichtig.
Wir werden aber in diesem Jahr noch ein
zweites Buch mit dem Titel „Context-Thinking“
herausgeben, das noch stärker auf
die tagtägliche Marketingpraxis ausgerichtet
sein wird.
GFGH: Wie lange dauerte der Prozess von
der Idee bis zur Fertigstellung des Buches
„Context-Marketing“ und was waren die
größten Herausforderungen dabei?
Dr. Lebok: Zum Jahresanfang 2020 hatten
wir uns zu dritt ungestört im Scherauer
Hof bei Nürnberg zusammengesetzt und
überlegten gemeinsam, wie wir das Thema
Context-Marketing aufgreifen und in verständlicher
Art und Weise darstellen können.
Wir einigten uns dann schnell auf eine
fundierte Aufbereitung in Zusammenarbeit
mit einem wissenschaftlichen Buchverlag.
Dann galt es im ersten Quartal, ein Grobkonzept
zu entwerfen und mit dem Verlag