…vorrangig: Herstellerangaben,
DIN-Normen oder BFS-Merkblätter?
Die Koexistenz unterschiedlicher Regelwerke
ist vielleicht nicht gerade erwünscht oder
ideal, aber erlaubt.
Letztlich sind technische Regelwerke, auch
DIN-Normen, privatrechtliche „Gebilde“, die
die Vermutung ihrer Richtigkeit in sich tragen
und somit einen hohen Beweiswert haben.
Die Vermutung ist aber nicht hinfällig,
wenn es ein kompetentes „Gegenmodell“
gibt. Dann löst sich die Konfliktsituation aber
nicht auf der Ebene der „Richtigkeit, oder
des Recht-Habens“, sondern auf der Ebene
des „vertraglich Gewollten“.
Und das ist auch völlig in Ordnung so. Jeder
kann eine Fassade unterschiedlicher Qualität
bestellen und bauen lassen. In anderen
Branchen ist das eine Selbstverständlichkeit:
Jeder kann einen Mercedes GLK bestellen
oder einen Renault Duster. Beide sind „erlaubt“,
beide haben die verkehrsrechtliche
Zulassung, beide sind aber natürlich völlig
unterschiedliche Autos.
Buschek: Welchen Standard muss der Handwerker
also dann letztlich einbauen?
Reinders: Bei einem vom Bauherrn professionell
geplanten LV, muss der Auftragnehmer
keine Bedenken anmelden, wenn es
zu der maßgeblichen Ausführungsart zwei
unterschiedliche technische Aussagen gibt.
Dann muss der Bauherr entscheiden, was er
will, und das ist dann vertraglich vereinbart,
regelkonform und mangelfrei.
Wenn der Handwerker plant, muss er den
Bauherrn von vornherein auf diese Situation
hinweisen und ihm die Alternative aufzeigen.
Auf dieser Wissensbasis kann dann
der Bauherr frei entscheiden.
MLM Daniela Buschek,
Obermeisterin der Innung Cham
RA Wolfgang Reinders
Was ist eigentlich ... ?
letztlich „nur“ die Meinung eines einzelnen
Marktteilnehmers. Deshalb fehlt es ihnen
am Merkmal der allgemeinen Anerkennung
durch die Fachwelt. Wenn ihre Aussagen in
seltenen Fällen mit denen der BFS-Merkblätter
kollidieren, sind sie nicht aaRT und
daher nachrangig einzuordnen.
Bei kollidierenden DIN-Normen fällt die
Abwägung anders aus. Diese sind ebenso
wie die BFS-Merkblätter von einem großen
Expertenkreis konzipiert worden. Wenn in
Einzelfragen tatsächlich einmal Abweichungen
bestehen, kommt es sozusagen zu einem
Meinungs-Patt.
Buschek: Wer hat in einem solchen Kollisionsfall
denn „recht“, welche Regel ist vorrangig?
Reinders: Diese Frage wird in dem Zusammenhang
immer wieder gestellt und leidenschaftlich
diskutiert. Darauf kommt es beim
Werkvertragsrecht aber überhaupt nicht an.
Entscheidend ist, dass beide Regelwerke „anerkannt“
sind. Das ist der Fall, wenn beide
Regelwerke von gleich „marktmächtigen“
Regelgebern geschaffen worden sind, wie
es beispielsweise bei BFS-Merkblättern und
DIN-Normen der Fall ist.
Es ist die falsche juristische Auslegung, dass
wenn sich zwei bedeutende Verkehrskreise
in ihren Aussagen widersprechen, es dann
schlechterdings keine überwiegende, breite
Anerkennung für eine der beiden Regeln
in der Fachwelt gibt und dann beide keine
aaRT sind. Das Gegenteil ist richtig.
Daniela Buschek: Ständig wird man mit dem
Begriff „allgemein anerkannte Regeln der Technik“
konfrontiert. Was genau ist das?
Wolfgang Reinders: Bauvertraglich ist der
Auftragnehmer bei jeder Bauausführung automatisch
verpflichtet, die aaRT zwingend
zu beachten. Der Kunde darf stets darauf
vertrauen, dass nur bewährte Produkte und
Verfahren verwendet werden, die den technischen
Regeln, Zulassungen, Normen, Fachregeln
etc. entsprechen. Bei einer Abweichung
von diesem Standard liegt in der konkreten
Bauausführung immer ein Mangel vor,
und zwar ohne, dass es zu einem konkreten
Schadensbild gekommen sein muss. (Der
Mangel schlummert gewissermaßen im Gewerk
und könnte sich jederzeit offenbaren).
Eine Abweichung von den aaRT ist also automatisch
ein Mangel.
Buschek: Wer bestimmt denn, was die aaRT
genau sind?
Reinders: Es ist natürlich nicht so, dass eine
einzelne Person das „bestimmt“. Im Kern
geht es darum, inwieweit technische Regelwerke
tatsächlich in der Branche allgemein
– also von der überwiegenden Mehrzahl der
Fachleute – als richtig anerkannt sind. Das
trifft vor allem auf DIN-Normen der VOB Teil
C und die „Technischen Richtlinien des Bundesausschuss
Farbe und Sachwertschutz“
(BFS-Merkblätter) zu, weil diese Regelwerke
von großen branchenumfassenden Fachgremien
über Jahre hinweg entwickelt werden.
Buschek: Verlieren die BFS-Merkblätter ihren
Status als aaRT, wenn Herstellerangaben
oder eine einzelne DIN-Norm etwas anderes
aussagen?
Reinders: Die BFS-Merkblätter sind insgesamt
als aaRT anerkannt. Herstellerangaben
können zumindest nicht automatisch den
Status der aaRT von sich aus beanspruchen,
auch wenn sie in der Sache technisch in 99 %
der Fälle richtig sind. Sie sind juristisch
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