Blickwinkel
Denk-Anstöße
Dietrich W. Thielenhaus
Der Autor dieser Kolumne ist als
Inhaber der Marketing-Agentur
Thielenhaus & Partner GmbH
(Wuppertal) beruflich nicht nur mit
dem SHK-Bereich, sondern auch
mit zahlreichen anderen Branchen
vertraut. Für die Leser der RAS formuliert
er aus seinen Erfahrungen,
Einblicken und Erkenntnissen allmonatlich
„Denk-Anstöße“, die
über den Tag hinaus von Bedeutung
sein könnten.
Interessantes, Merkwürdiges und Nachdenkliches,
gesammelt von Dietrich W. Thielenhaus
Schwache Erholung
Mit einem BIP-Wachstum um 2,7 %
ist Deutschland 2021 deutlich unter
den Anfang des Jahres veröffentlichten
Prognosen geblieben. Damit
konnte der pandemiebedingte Einbruch
um 4,6 % in 2020 im vergangenen
Jahr nicht ausgeglichen
werden. Sorge bereitet die Tatsache,
dass die Wirtschaft im vierten
Quartal mit einem Minus von 0,5
bis 1,0 % erneut auf Schrumpfkurs
gegangen ist. Dieser rezessive
Trend dürfte in den nächsten
Monaten anhalten. Bemerkenswerterweise
hinkte die Bundesrepublik
beim Wachstum anderen
europäischen Industrienationen
weit hinterher. So haben Frankreich
(+6,5 %) und Italien (+6,2 %) 2021
mehr als doppelt so stark zugelegt
wie die Bundesrepublik. Dabei ist
allerdings zu berücksichtigen, dass
diese Länder wesentlich massiver
von der Rezession in 2020 betroffen
waren. Gleichwohl ist nicht zu
übersehen, dass Frankreich und
Großbritannien ihr konjunkturelles
Vorkrisenniveau schon im vergangenen
Jahr wieder erreicht haben.
Dass Deutschland noch nicht
so weit ist, liegt nach ifo-Analyse
am verarbeitenden Gewerbe. Die
deutsche Industrie leide stärker
unter den Lieferketten-Problemen.
Außerdem sei der Anteil des verarbeitenden
Gewerbes am BIP mit
rund 20 % doppelt so groß wie
in Großbritannien und Frankreich.
Kein „Post-Corona-Boom“
Offenbar braucht Deutschland
mehr Zeit als andere Länder, um
die wirtschaftlichen Folgen von
Corona zu überwinden. Nicht absehbar
ist derzeit das Ausmaß der
von der Politik für notwendig gehaltenen
Omikron-Beschränkungen.
Selbst bei einem „Lockdown
light“ würde das BIP in diesem
Jahr – nach Einschätzung des Instituts
der Deutschen Wirtschaft –
um bis zu 50 Mrd. Euro niedriger
ausfallen als in „normalen“ Zeiten.
Als zweite erhebliche Belastung
wirkt das anhaltende Problem
der Lieferengpässe. Trotz oft voller
Auftragsbücher stellt sich der
BDI auf ein „Stop-and-go-Jahr“
ein. Zahlreiche Unternehmen der
Automobil-, Elektro- und Maschinenbauindustrie
leiden unter bedrohlichen
Lieferengpässen, die
sich als Umsatzbremse erweisen.
Der BDI schätzt den Verlust der
industriellen Wertschöpfung für
2021 und 2022 auf jeweils über
50 Mrd. Euro. Nach Meinung des
Verbands wird der Mangel an Mikrochips,
Bauteilen und Rohstoffen
die Produktion noch längere Zeit
einschränken. Gleichwohl blicke
man „mit verhaltener Zuversicht“
auf die wirtschaftliche Erholung.
Der BDI erwartet für das laufende
Jahr ein Wirtschaftswachstum um
3,5 % und einen Anstieg des Exports
um 4 %. Die Industrieproduktion
soll um 4,5 % zulegen.
Damit läge das Produktionsniveau
allerdings immer noch rund 6 %
unter dem Level von 2018, weil
die Produktion schon 2019, also
vor Corona, rückläufig gewesen
sei. Selten sei ein Jahresausblick
mit soviel Unsicherheit behaftet
worden. Der erhoffte „Post-Corona
Boom“ bleibe aus. Die konjunkturelle
Erholung werde sich
bestenfalls bis zum Sommer hinauszögern.
Firmen in Not
Fast jedes siebte Unternehmen in
Deutschland sieht sich durch die
Folgen der Pandemie in seiner
Existenz bedroht. Das hat eine im
Dezember 2021 durchgeführte ifo-
Umfrage ergeben. Der Anteil ist im
Vergleich zur letzten Erhebung im
Juni 2021 unverändert hoch geblieben.
Die höchste Bedrohung empfindet
der Dienstleistungsbereich.
Am stärksten gefährdet sehen sich
Reisebüros und -veranstalter mit
73,2 % und die Veranstaltungsbranche
mit 67,4 %. Im verarbeitenden
Gewerbe liegt der Durchschnittswert
bei 5,7 %. Aber auch
hier sieht jeder fünfte Hersteller
von Bekleidung und Druckerzeugnissen
schwarz für seine betriebliche
Zukunft. Gleichwohl ist die
befürchtete Insolvenzwelle bisher
in Deutschland ausgeblieben, was
vor allem auf die Verfügbarkeit von
staatlichen Überbrückungshilfen
für notleidende Unternehmen zurückzuführen
sein dürfte. Sollte
dieses Hilfsprogramm – wie vom
Bundesfinanzminister angekündigt
– schon bald auslaufen, könnte
sich dies 2022 in einer heftigen
Pleitewelle entladen.
Inflation ante portas
Die deutsche Inflationsrate lag
2021 im Jahresdurchschnitt bei
3,1 %. Einen stärkeren Preisanstieg
hat es zuletzt 1993 mit damals
4,5 % gegeben. Als besorgniserregend
erweist sich der stark
steigende Trend im Jahresverlauf.
So lag die Geldentwertung im Dezember
2021 5,3 % höher als im
Vorjahresmonat. Auch im Euro-
Raum ist die Inflation im Dezember
mit durchschnittlich 5,0 % auf
ein Rekordhoch gestiegen, was der
höchsten Teuerungsrate seit der
Euro-Einführung entspricht. Damit
bewegt sich Deutschland bei der
Geldentwertung derzeit im oberen
Mittelfeld der Euro-Länder. Für das
laufende Jahr rechnen die Ökonomen
mit einer Fortsetzung der Inflation
oberhalb der 3%-Marke. Die
Prognosen der Forschungsinstitute
liegen zwischen 3,1 und 3,3 %,
also fast auf Höhe der erwarteten
BIP-Zuwächse. Die Deutsche Bundesbank
rechnet sogar mit 3,6 %.
Selbst die für ihre politischen Beschwichtigungsversuche
bekannte
EZB erwartet mittlerweile für den
Euro-Raum in 2022 eine Aufweichung
der Gemeinschaftswährung
um 3,2 %.
„Lohn-Preis-Spirale“
Wesentlich weniger entspannt
sieht der Ökonom Hans-Werner
Sinn die aktuelle Entwicklung. Er
fordert die Bundesregierung in
einem Interview zur Intervention
bei der EZB auf. Das „Feuer der
Inflation“ müsse man sofort austreten.
Die Pläne der neuen Bundesregierung
für Mindestlohn und
Energiewende seien geeignet, die
Preisspirale weiter zu beschleunigen.
Der frühere ifo-Chef warnt
vor einer langanhaltenden Inflationswelle.
Noch stecke Deutschland
in der ersten Welle, die zwar
ein wenig abklingen werde, aber
auch Ausgangspunkt für die zweite
Welle sein werde.
62 RAS | JANUAR-FEBRUAR 2022 www.ras-online.com
/www.ras-online.com