Blickwinkel
Denk-Anstöße
Dietrich W. Thielenhaus
Der Autor dieser Kolumne ist als
Inhaber der Marketing-Agentur
Thielenhaus & Partner GmbH
(Wuppertal) beruflich nicht nur mit
dem SHK-Bereich, sondern auch
mit zahlreichen anderen Branchen
vertraut. Für die Leser der RAS formuliert
er aus seinen Erfahrungen,
Einblicken und Erkenntnissen allmonatlich
„Denk-Anstöße“, die
über den Tag hinaus von Bedeutung
sein könnten.
Interessantes, Merkwürdiges und Nachdenkliches,
gesammelt von Dietrich W. Thielenhaus
Gürtel enger?
Um über ein Drittel nach unten
korrigiert haben die fünf führenden
Wirtschaftsforschungsinstitute
ihre Wachstumsprognose für
2021, von 3,7 auf 2,4 %. Die Ökonomen
fordern zu mehr Realitätssinn
auf hinsichtlich der Umsetzbarkeit
politischer Wünsche. Politik
und Gesellschaft hätten noch nicht
verstanden, dass man den Gürtel
enger schnallen müsse. An weniger
Konsum führe in der Zukunft
kein Weg vorbei. Die Wirtschaftsweisen
erwarten für das nächste
Jahr ein BIP-Wachstum um 4,8 %.
Im ersten Quartal 2022 werde die
Wirtschaft wieder ihr Vorkrisenniveau
erreichen. Das gelte auch
für die Zahl der Beschäftigten, die
knapp 45,4 Mio. erreichen soll.
Zurückzuführen ist die deutliche
Abflachung des für 2021 erwarteten
Aufschwungs vor allem auf
Lieferengpässe bei Rohstoffen und
Vorprodukten. Der Außenhandel
wird zusätzlich belastet durch
deutlich steigende Frachtraten. Der
BDI warnt: „Probleme in globalen
Lieferketten, hohe Logistikkosten
und ungeklärte Handelsstreitigkeiten
verdunkeln den Konjunkturhimmel
und haben in der Folge
massive Auswirkungen auf die Exporte.“
Angesichts der zunehmend
schwierigen Rahmenbedingungen
erscheint die Wachstumsprognose
von 4,8 % für 2022 als vom Prinzip
Hoffnung getragen.
Im Rückwärtsgang
Die FAZ sieht die deutsche Industrie
in einer „Flaschenhals-Rezession“.
Produktion und Auftragseingang
sind im August stark eingebrochen.
Der Ausstoß der Industrie
war gegenüber dem Vormonat
um 4,7 % rückläufig. Vor allem
der Lieferengpass bei Mikrochips
verhindert, dass die Unternehmen
von der erholten Weltkonjunktur
profitieren. So mussten die Automobilzulieferer
ihre Produktion
im August im Vergleich zum Vormonat
um 17,5 % zurückfahren.
Die Branche rechnet damit, 2021
ein Fünftel weniger Autos herzustellen
als im Krisenjahr 2020,
was dem fünftgrößten Einbruch in
der Nachkriegsgeschichte gleichkäme.
Die partielle Lahmlegung
dieser Schlüsselindustrie hat unvermeidlich
gravierende Auswirkungen
auf den Bereich der Zulieferunternehmen,
deren Verband
vor einer Insolvenzwelle warnt.
Die Bereitschaft der Banken, den
häufig schon jetzt von erheblichem
Fremdkapital abhängigen Firmen
mit zusätzlichen Krediten über die
Runden zu helfen, hält sich offenbar
in engen Grenzen.
„Tassen im Schrank“
„Es geht um mehr oder weniger
Markt, mehr oder weniger Umverteilung,
mehr Freiheit oder mehr
Verbote.“ Auf diese Formel bringt
der Chefredakteur der „Wirtschaftswoche“
die Herausforderungen
für die neue Koalitionsregierung.
Anders ausgedrückt:
Es geht um mehr oder weniger
Marktwirtschaft. Abzuwarten
bleibt, ob es der FDP gelingt,
wirtschaftspolitische Leitplanken
gegenüber staatswirtschaftlichen
Neigungen und unterschwelligen
Links-Tendenzen bei SPD und
Grünen dauerhaft und wirksam
zu etablieren. Nach Einschätzung
der FAZ braucht die Bundesrepublik
dringend eine marktwirtschaftliche
Erneuerung. Deutschland
benötige keine romantisierende
Erörterung des Nutzens
von Lastenfahrrädern, sondern
eine Debatte über die Rahmenbedingungen
zur Steigerung der
wirtschaftlichen Innovationskraft.
Der Wunsch nach der großen Geldverteilung
fördere den Machbarkeitswahn,
langfristige finanzielle
Risiken würden ausgeblendet und
als Visionen von Spinnern verlacht.
Unverändert aktuell ist die Aufforderung
des einstigen SPD-Wirtschaftsministers
Prof. Karl Schiller
an die damalige Juso-Generation,
doch bitte die (wirtschaftlichen)
Tassen im Schrank zu lassen.
Die gewollte Inflation
Im September sind die Verbraucherpreise
– gegenüber dem Vorjahresmonat
– um 4,1 % gestiegen,
was dem höchsten Stand seit
28 Jahren entspricht. Die Erzeugerpreise
gewerblicher Produkte
bewegten sich mit 12 % auf dem
höchsten Level seit der Ölkrise in
1974. Preistreiber waren vor allem
die Energiekosten (+24 %)
und Vorleistungsgüter (+17,1 %).
Erstaunlicherweise liegt die deutsche
Inflationsrate (4,1 %) deutlich
über der durchschnittlichen
Geldentwertung in der Eurozone
(3,4 %). Die Verbraucher haben
einerseits deutlich mehr Geld für
ihren Lebensunterhalt aufzubringen,
andererseits werden sie als
Sparer massiv enteignet. Einer
Bank-Studie zufolge beliefen sich
die Wertverluste in den ersten neun
Monaten des laufenden Jahres auf
47 Mrd. Euro, was 570 Euro pro
Sparer ausmacht. Hinzu kommen
die „Verwahrungsentgelte“ genannten
Strafzinsen. Mit Blick auf
die zunehmende Verunsicherung
der Bürger (und Wähler) setzt die
EZB konsequent auf Beschönigung.
Dazu zählt die wenig überzeugende
These, die nur vorübergehende
Inflation werde schon im nächsten
Jahr wieder unter 2 % fallen. Prof.
Günther Schnabl (Uni Leipzig)
sieht darin den Versuch, die Menschen
an höhere Inflationsraten zu
gewöhnen. In dieses Raster passt
auch die seit Jahren von der EZB
vorgegebene Sprachregelung,
dass es sich bei einer gewollten
Inflationsrate „um 2 %“ nur um
eine Maßnahme zur Preisstabilität
handele. Unverkennbar haben
vor allem die Schuldenländer Interesse
an einer deutlichen Geldentwertung
im doppelten Sinne.
Einerseits trägt sie zum Abbau
der realen Staatsschulden bei.
Andererseits sorgen Preiserhöhungen
für mehr Steuereinnahmen.
Daher dürfte sich auch das
Engagement von SPD und Grünen
für konsequente Preisstabilität in
Grenzen halten. In diesem Sinne
ist der Rücktritt von Bundesbank
Präsident Jens Weidmann
– nach der Bundestagswahl – als
fatales Alarmsignal zu interpretieren.
Nach aller Voraussicht wird
die neue Bundesregierung dafür
sorgen, dass dem geldpolitischen
„Falken“ eine kompromissbereite
„Taube“ im Amt des Bundesbankpräsidenten
folgen wird.
62 RAS | NOVEMBER 2021 www.ras-online.com
/www.ras-online.com