Blickwinkel
Denk-Anstöße
Dietrich W. Thielenhaus
Der Autor dieser Kolumne ist als
Inhaber der Marketing-Agentur
Thielenhaus & Partner GmbH
(Wuppertal) beruflich nicht nur mit
dem SHK-Bereich, sondern auch
mit zahlreichen anderen Branchen
vertraut. Für die Leser der RAS formuliert
er aus seinen Erfahrungen,
Einblicken und Erkenntnissen allmonatlich
„Denk-Anstöße“, die
über den Tag hinaus von Bedeutung
sein könnten.
Interessantes, Merkwürdiges und Nachdenkliches,
gesammelt von Dietrich W. Thielenhaus
„Kranker Mann Europas“?
UDie konjunkturelle Erholung in
Deutschland ist im Oktober fast
zum Stillstand gekommen. Das
hat eine Umfrage von IHS Markit
bei 800 Industrie- und Dienstleistungsunternehmen
ergeben. Der
Rückgang lässt auf eine beginnende
Stagnation im vierten Quartal
schließen. Als besorgniserregend
bewertet Markit, dass die Wachstums
Verlangsamung mit steigenden
Ein- und Verkaufspreisen für
die Unternehmen zusammenfalle.
Ursächlich für die konjunkturelle
Abkühlung seien „Engpässe bei
Vorprodukten und die daraus resultierende
Nachfrageschwächung im
Automobilsektor“. Da nicht absehbar
ist, wann sich die logistischen
Staus auf den Weltmeeren und
der Mangel an Halbleitern auflösen
werden, sinkt in der Wirtschaft
die allgemeine Zuversicht. Auch die
Daten im gesamten Euro-Raum erscheinen
eher ernüchternd. So ist
der EU-Konjunkturindikator auf
ein Sechsmonatstief gefallen. Die
Stimmung in der deutschen Exportindustrie
ist im Oktober massiv
eingebrochen. Die Exporterwartungen
sind von 20,5 Punkten im
September deutlich gefallen auf
13,0 Punkte, den schlechtesten
Wert seit Februar 2021. Verschärft
wird die Lage durch die heranrollende
vierte Corona-Welle, deren
Auswirkungen und Belastungen
für die Unternehmen derzeit nicht
absehbar sind. Die EU-Kommission
rechnet für das laufende Jahr
mit einem durchschnittlichen realen
BIP-Wachstum im Euroraum
von 5,0 %. Deutschland liegt mit
2,7 % am Ende der EU-Prognoseskala
für 2021. Ob sich die optimistischen
Wachstums-Prognosen für
2022 tatsächlich bestätigen werden,
erscheint aus heutiger Sicht
zweifelhaft. Angesichts der im
Vergleich zu anderen Ländern der
Euro-Zone schwachen Konjunkturdaten
wird in London und Paris
inzwischen schon wieder das Klischee
von „Deutschland als krankem
Mann Europas“ kolportiert.
„Stagflation“
Auch der ifo-Geschäftsklimaindex
spiegelt die konjunkturelle Abkühlung
wider. Danach ist die Stimmung
der deutschen Unternehmen
zum vierten Mal in Folge gesunken.
Einen derartigen Einbruch gab
es zuletzt im Frühjahr 2020, auf
dem Höhepunkt der Corona-Krise.
Erhebliche Lieferprobleme infolge
von Materialknappheit wirken derzeit
– so ifo-Präsident Clemens Fuest
– wie „Sand im Getriebe“. Zunehmender
Pessimismus schwebt
über fast allen Branchen. Nur die
Bauwirtschaft bleibt mit seit sechs
Monaten anhaltenden Zuwachsraten
auf Erfolgskurs. Der Ökonom
Jörg Krämer bewertet die aktuellen
ifo-Zahlen als „Warnsignal“. Für
Verunsicherung der Unternehmen
sorge die Annahme, dass die Politik
mit neuen Beschränkungen auf
die sprunghaft ansteigende Pandemie
reagieren werde. Außerdem
führe die neue Corona-Welle vor
allem in Asien zu Fabrikschließungen,
was den Materialmangel und
die Lieferkettenprobleme hierzulande
verschärfen werde. Für das
vierte Quartal zeichne sich eine
Stagflation, ein Anstieg der Preise
bei wirtschaftlicher Stagnation, ab.
Wettbewerbsfähigkeit
Ausländische Konzerne bewerten
den Wirtschaftsstandort Deutschland
zunehmend kritisch und planen
eine Reduzierung ihrer Investitionen.
Das ist die Quintessenz
einer neuen Studie, bei der KPMG
360 Finanzvorstände von deutschen
Tochtergesellschaften internationaler
Konzerne befragt hat.
Danach wollen nur noch 19 % der
Firmen in den kommenden fünf
Jahren Investitionen von jährlich
mindestens zehn Millionen Euro
in Deutschland vornehmen. Zum
Vergleich: Bei der letzten Befragung
vor vier Jahren wollten dies
noch 34 %. Als größtes Investitionshindernis
erweist sich die unzureichende
digitale Infrastruktur.
9 % der Befragten bezeichnen sie
als „die schlechteste in der EU“,
weitere 24 % zählen sie „zu den
fünf schlechtesten in der EU“. Beanstandet
wird auch die Kosten-
Situation: Deutschland gilt als
„zu teuer bei Strom, Steuern und
Arbeitskosten“. Bei Industriestrom
sei die Bundesrepublik mit 18,18
Cent pro Kilowattstunde inzwischen
das Schlusslicht in Europa.
Das deutsche Steuersystem wird
schlicht als „nicht wettbewerbsfähig“
eingestuft. Kritisiert werden
auch marode Straßen, Brücken und
Schienen. Die Arbeitskosten liegen
mit durchschnittlich 36,60 Euro
weit über dem EU-Durchschnitt
von 28,50 Euro. Dieser Nachteil
sei bisher wegen der hohen deutschen
Arbeitsproduktivität in Kauf
genommen worden. Allerdings
beobachteten die Investoren die
seit 2018 hierzulande stagnierende
Produktivität mit Sorge. Als
Fazit stellt KPMG eine schwindende
Attraktivität des Standorts
fest und warnt, dass ein weiteres
Anwachsen von Regulierung und
Bürokratie infolge der geplanten
EU-Umweltgesetzgebung zur Bedrohung
des Investitionsstandorts
Deutschland führen könne. Die
Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit
sollte folglich weit oben
auf der Agenda der neuen Bundesregierung
stehen.
Energiekosten
Der deutsche Strompreis hat im
Oktober ein neues Allzeithoch erreicht.
In der Gruppe der 20 wichtigsten
Industrie- und Schwellenländer
rangiert Deutschland auf
einem unrühmlichen Spitzenplatz.
Das Vergleichsportal Verivox meldet:
In keinem anderen G20-Staat
ist Strom teurer. In der medialen
Diskussion werden hierzulande
häufig „die Energiekonzerne“
pauschal der Preistreiberei beschuldigt.
Verkannt wird dabei,
dass die Hälfte des Strompreises
auf Steuern und Abgaben entfällt.
Je ein Viertel geht an die Stromnetzbetreiber
und die Stromversorger
für Beschaffung und Vertrieb.
Laut Check24 haben seit August
bereits 36 Strom-Grundversorger
ihre Preise um durchschnittlich
7,9 % erhöht. Daraus resultieren
für einen Musterhaushalt Mehrkosten
von 126 Euro pro Jahr.
Nicht zu verkennen ist: 63 Euro
davon gehen auf das Konto der
öffentlichen Hand in Form von
Steuern und Abgaben.
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