Einer der ältesten
Bierstile der Welt
38 · BRAUINDUSTRIE 11/2020
Hirsebier aus Afrika
Vor Zeiten dürfte die Hirse auch in Deutschland eine bedeutende
Nutzpflanze gewesen sein. Doch im Jahr 1800 schreibt Carl Phillip Funke
in seiner „Naturgeschichte und Technologie“, dass die „teutsche Hirse“ (Panicum
germanicum) in gutem, lehmigem Boden „zuweilen tausendfältig tragen“ soll. Ihr Anbau
sei aber weitgehend abgekommen, „in Lithauen und an einigen Orten in Teutschland
hat man ihren Anbau noch beibehalten“. In der Haushaltung werde sie
„als eine stark sättigende Kost mit Recht geschätzt; doch ist
sie schwerverdaulich und stopfend“.
Dass Hirse glutenfrei und daher für
Zöliakie-Patienten geeignet ist,
konnte Funke nicht wissen – wäre
sie aber irgendwo als Bierzutat in
Gebrauch gewesen, hätte er es wohl
vermeldet. Aber das agronomische
Wissen um 1800 hat wohl Afrika nicht
im Fokus gehabt – und dass es weltweit
rund vier Dutzend Varianten des
als Sorghum oder Hirse bekannten
Süßgrases gibt, konnte man sich seinerzeit
auch nicht vorstellen. Dabei
gehören Hirsebiere zu den ältesten
Bieren der Welt – und in Afrika sind
sie immer noch recht weit verbreitet.
Gaumen, die europäische Bierstile
gewohnt sind, kostet es allerdings
gewisse Überwindung, sich diesen
Bieren auch nur zu nähern. Das liegt
an ihrem Aussehen und ihrem Geruch:
Die erste Kostprobe, die mir vor
gut einem Vierteljahrhundert in der
Newlands Brewery in Kapstadt serviert
worden ist, sah aus wie sauer
gewordene Trinkschokolade. Sie
roch auch so. Und sie schmeckte
auch so, allerdings ein wenig dickflüssiger.
Man habe in eines der
Townships fahren müssen, um sie
für mich zu beschaffen, erzählten
meine Gastgeber, die das seltsame
Getränk selbst nicht anrühren
würden.
Will sagen: Hirsebiere sind im südlichen
Afrika eher ein Thema für die sozial
ganz schlecht gestellten Schichten.
Dort ist das aus Sorghum-Hirse
gebraute Bier allerdings Teil der täglichen
Ernährung – wer die von Funke
beschriebene „stark sättigende Kost“
aus Hirsebrei auf seinem Speiseplan
hat, der erinnert das aus Sorghum gebraute
Bier eben nicht an verdorbene
Trinkschokolade, sondern an den gewohnten
Brei.
Mystik und Erfahrungswerte
Dass es ein wenig Mystik rund um die
Vergärung dieses Breis gibt, macht
die Sache noch ein wenig spannender.
Nosiseko Roxwana, die im
Hinterhof ihres Hauses in einem der
Townships am Rande der Kap-Metropole
selbst Sorghum-Bier braut,
beginnt den Brauvorgang mit einem
gebetsartigen Anruf ihrer Vorfahren,
denen sie den geplanten Brauprozess
ankündigt und um Fürsprache bittet,
dass die Sache auch gut gehen
möge.
Das Brauen dauert in diesem Fall
eineinhalb Tage: Nachdem Nosiseko
sicher ist, dass die Ahnen ihrem Vorhaben
wohlgesonnen sind, bereitet
sie einen Brei aus Hirsemalz, das
man sackweise vorgeschrotet im Supermarkt
kaufen kann. Der Brei wird
Der Brauvorgang des „Umqombothi“ dauert rund eineinhalb Tage und ist geprägt
von Erfahrungswerten.